Die Türken in Wien - 300 Jahre später

44/1983

Wien 1983! Interview 300 Jahre nachdem Kara Mustafa und die türkische Armee vor den Toren Wiens umkehren mussten, haben die Türken die Stadt friedlich erobert. Mehr als 40.000 Türken leben in Wien. Die meisten von ihnen versuchen auch hier so wie in der Türkei zu leben - auch wenn sie schon Jahrzehnte in Österreich sind. Die türkischen Vorläufer der österreichischen Militärblasmusik, die Janitscharen, sind heute auch für die Türken nur mehr exotische Vergangenheit - die alte Kampfmusik erinnert allerdings stark an die Schlachtrufe der türkischen Fußballfans, die jedes Wochenende Spiele der türkischen Meisterschaft in Österreich sehen können. Der Meister kommt heuer übrigens aus Wien. Viele Türken kämpfen in Österreich nicht nur gegen Vorurteile, sondern auch mit Sprachschwierigkeiten und dem Amtsschimmel. Deshalb hat der Zuwandererfonds der Gemeinde Wien im 10. Bezirk ein Beratungszentrum eingerichtet. Täglich beraten 3 Sozialarbeiter ratsuchende Türken in ihrer Muttersprache. Viele Türken träumen davon, als Unternehmer selbst für den eigenen Arbeitsplatz zu sorgen - manche haben sich diesen Traum auch schon erfüllt. Besonders beliebt bei türkischen Jungunternehmern sind Lebensmittelläden, die vom selbstgebackenen Brot über spezielle Gewürze bis zum Lammfleisch alles führen, was man für die türkische Küche braucht. 4 von 5 Moslems in Österreich sind Türken, die die Tradition des Islams achten und die Vorschriften des Korans befolgen. In Wien können strenggläubige Moslems in 8 verschiedenen Moscheen bis zu 5 mal täglich ihr Gebet verrichten. Seit kurzem wird auch an öffentlichen Schulen in Österreich Islamunterricht erteilt. 5.000 Kinder und Jugendliche lernen zuerst einmal wie Suren aus dem Koran richtig gelesen werden. In Österreich kann man als erstem europäischen Land sogar in Islam maturieren. Auch in ihrer Freizeit bleiben viele Türken den Bräuchen ihrer Heimat treu. Im türkisch geführten Eckbeisl in der Vorstadt kann man jedes Wochenende original Bauchtanz erleben. Wer oft als Tschusch beschimpft wird und in kleinen, dunklen Wohnungen leben muß, der rückt enger zusammen und bleibt gerne unter sich. Deshalb sind Familie, Gemeinschaft und Gastfreundschaft für Türken wichtiger als für viele Österreicher. Das Wochenende wird gemeinsam mit der Familie und mit Freunden verbracht. Türkische Filme in Originalfassung, bequem zu Hause per Video zu sehen, helfen manchen Türken ihr Heimweh zu vergessen. Bis zu 40 Stunden fahren viele Türken mit dem Bus, um einige Zeit zu Hause zu sein und ihr Heimweh zu bekämpfen. Doch die meisten kommen gerne wieder aus der Militärdiktatur Türkei nach Österreich zurück, denn in Wien gibt es Arbeit und die Freiheit so zu leben wie man es möchte und die Möglichkeit ohne Angst auch die eigene Meinung zu sagen.